Calliphora vicina (*)

Ich mag ja Fliegen. Also die Fortbewegung mit einem Flugzeug von A nach B. Nicht diese Insekten. Die sind eher lästig. Genauso wie die unvermeidlichen Begleiterscheinungen des Fliegens.

So schön die Aussicht aus 12.000 Metern Höhe auch ist – immer vorausgesetzt man hat einen Fensterplatz und einen Sitznachbarn im akzeptablen Gewichts- und Geruchsbereich – der Weg zur Startbahn ist lang und steinig. Das fängt schon bei der Buchung an: Jede x-beliebige rumänische Phishing-Site ist übersichtlicher und benutzerfreundlicher aufgebaut als die einschlägigen Web-Portale der Airlines. Und sie (die rumänischen Phisher) versuchen ihren Besuchern deutlich weniger unnützes Zeugs unterzujubeln. Nicht nur, dass man für Kaffee, Koffer und Komfort extra löhnen muss – daran hat sich Otto-Normal-Flieger längst gewöhnt, es wird mehr oder weniger dreist versucht Versicherungen, Mietwagen und Hotels gleich mit zu verkaufen. Menschen mit breiten Fingern oder nervösem Zittern, oder einfach Menschen, für die das Internet nicht zum täglichen Brot gehört und die sich der Fallstricke nicht bewusst sind, sind ständig in Gefahr, den fälligen Gesamtpreis in schwindelerregende Höhen zu treiben. Deshalb hier einige kostenlose (**) Tipps von mir: wie wäre es mit Babynahrung, Hygieneartikel oder Sicherheitsgurten? Gerade Gurte wären doch eine beinahe (Achtung schlechtes Wortspiel) todsichere Einnahmequelle. Wer würde schon für schlappe 19,99 auf das beruhigende violette Stück Stoff mit der adretten Silberschnalle verzichten wollen? Die Möglichkeiten sind schier endlos.

Doch wer sich nach erfolgreicher Buchung am Ziel wähnt, der wird bitter enttäuscht. Selbst wenn man die alltäglich-so-mittelmäßig-lästigen Dinge wie S-Bahn zum oder Parkplatzsuche am Flughafen einmal weglässt (von den unverschämten Parkgebühren einmal ganz abgesehen) – es wird nicht besser. Denn die wahre Belastungsprobe steht noch bevor – und sie hat einen Namen: die Boarding-Hölle. Dante lässt grüßen. Nein, nicht der Fußballer mit der Pumucklfrisur. Der Dichter. Der mit den neun Kreisen der Hölle. Wahrscheinlich war das mittelalterliche Fernkutschenwesen zwischen Karthago und Konstantinopel ganz ähnlich organisiert wie das moderne Billigfluggedöns und hat den guten Mann zu seinem epochalen Werk inspiriert.

Jeder kennt es. Jeder hasst es. Und alle machen mit. Es ist immer dasselbe Spiel. Exakt fünf Minuten bevor das Gate öffnet. Einer von der ganz ungeduldigen Sorte steht auf und stellt sich vorne hin. Ganz vorne. Gaaaanz vorne. Könnte ja nicht mitgenommen werden, der Arme. Das ist das Zeichen: Binnen Nanosekunden hat sich eine 40 Meter lange Schlange gebildet. Die Menge scharrt mit den Hufen. Es wird getreten und gedrängelt wie sonst nur im Moshpit von Slayer auf dem Wacken Open Air. Ellenbogen, Haareziehen, Tiefschläge. Alles ist erlaubt. Die Lautsprecherdurchsagen der bemitleidenswerten Mitarbeiterin mit der Bitte, doch Familien mit kleinen Kindern und Menschen mit Behinderungen zuerst einsteigen zulassen, verhallen ungehört. Es gilt das Recht des Dschungels.

Wenn sich die Türen dann öffnen beginnt die eigentliche Herausforderung. Wer schafft es, am längsten nach seinem Sitzplatz zu suchen? Wer steigt trotz Reihe 1 hinten ein und wühlt sich durch die sich ihm entgegenquellenden Menschenmassen? Wer blockiert den Gang möglichst lange mit einem 20kg „Handgepäcks“-Koffer? Wer belegt die meiste Fläche in der Gepäckablage mit seiner Anapurna-Outdoor-Himalaya-Daunenjacke – und – in der Sonderkategorie „Rebell“: wer betritt das Flugzeug wahlweise mit panisch-gehetztem Gesichtsausdruck oder cool-überlegenem Siegerlächeln fünf Minuten nach der geplanten Abflugzeit? Der Hass der Wartenden ist schier grenzenlos. Garantiert. Zeitungen werden zusammengerollt und Fäuste geballt. Wäre der Nachzügler doch bloß eine gemeine Stubenfliege.

Epilog:
Wenn Menschen es nicht schaffen, unter ganz normalen Umständen in ein Flugzeug einzusteigen – zu was sind sie dann fähig, wenn es darum geht, das Flugzeug nach einer Notlandung schnell zu verlassen? Mir graut vor der Vorstellung.

(*) Lat. Bezeichnung für „Schmeißfliege“. Im Althochdeutschen bedeutet „schmeißen“ beschmieren, bestreichen, besudeln. Genauso wie dieses Insekt mit Vorliebe das Nutellabrötchen des Autors besudelt, besudeln diverse Ärgernisse das Flugvergnügen desselben. Also des Autors. Nicht des Nutellabrötchens.
(**) kostenlos bedeutet natürlich nicht wirklich kostenlos. In Wirklichkeit schließt jeder, der das hier liest ein mindestens lebenslängliches Abonnement der „Praline“ ab. Geliefert frei(***) Haus im garantiert nicht neutralem Umschlag.
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